Güterrechtliche Privilegierung des „gleitenden Erwerbsvorgangs“ bei der unentgeltlichen Zuwendung eines mit einem Nießbrauch belasteten Grundstücks
Welches Recht auf die güterrechtlichen Beziehungen von Eheleuten anzuwenden ist, richtet sich nach den Artikeln 20 ff der Verordung (EU) Nr. 2016/1103 bzw. Nr. 2016/1104 für eingetragene Partnerschaften vom 24. Juni 2016, die in Deutschland und in mehreren anderen Ländern der Europäischen Union bereits anwendbar sind. Findet danach deutsches Recht Anwendung und haben die Ehegatten keine abweichende Regelung vereinbart, stehen sie im sogenannten gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft und ihre güterrechtlichen Beziehungen richten sich nach den §§ 1363 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches.
Im Fall der Scheidung findet der Ausgleich in der Weise statt, dass das Vermögen eines jeden Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung mit demjenigen verglichen wird, das er zum Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags besitzt, um auf beiden Seiten den sogenannten Zugewinn zu ermitteln. Derjenige Ehegatte, der während der Ehezeit den höheren Zugewinn erzielt hat, schuldet dem anderen Ehegatten einen finanziellen Ausgleich in Höhe der Hälfte der Differenz beider Zugewinne, den sogenannten Zugewinnausgleich.
Bei der Berechnung des Zugewinns eines Ehegatten sollen solche Vermögenszuwächse unberücksichtigt bleiben, die ein Ehegatte unentgeltlich als Schenkung, als Erbe oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht erhalten hat, es handelt sich um einen sogenannten privilegierten Erwerb . Dies wird erreicht, indem sie gemäß 1374 Abs. 2 BGB in das Anfangsvermögen eingestellt werden, so dass sie „zugewinn-neutral“ bleiben.
Hausgrundstücke, die einem Ehegatten während der Ehezeit von seinen Angehörigen mit Rücksicht auf sein künftiges Erbrecht zugewendet werden, sind häufig mit einem Nießbrauch belastet, mit dem das Wohnrecht der Zuwendenden bis zu ihrem Versterben abgesichert ist. Im weiteren Verlauf der Ehe und mit zunehmendem Alter des/der Nießbrauchberechtigten vermindert sich die Belastung durch den Nießbrauch, bis er mit Versterben des/der Berechtigten ganz entfällt. Der Bundesgerichtshof hat sich mehrfach mit der Frage auseinandergesetzt, wie der Nießbrauch so bei der Berechnung des Zugewinns berücksichtigt werden kann, dass der gesetzlichen Privilegierung durch § 1374 Abs. 2 BGB genügt wird. Dabei hat er die durch das zunehmende Alter und die sinkende Lebenserwartung des Zuwendenden sich ergebende fortschreitende Reduzierung Wertbelastung durch den Nießbrauch als einen gleitenden Erwerbsvorgang beschrieben, dessen Privilegierung besondere Regeln erfordert.
Mit seiner Entscheidung vom 6. Mai 2015 (XII ZB 306/14) ist der Bundesgerichtshof von den früher aufgestellten Regeln für die Abbildung dieses gleitenden Erwerbsvorgangs abgerückt und hat klargestellt, dass die Privilegierung des Wertzuwachses im Zugewinnausgleich am besten erfaßt wird, indem der Nießbrauch sowohl im Anfangs- als auch im Endvermögen des Zuwendungsempfängers vollständig unberücksichtigt bleibt.
Nur dann und soweit, der Nießbrauch im Wert gestiegen ist, weil auch das Grundstück selbst im Wert gestiegen ist, muss der Wert des Nießbrauchs in das Anfangs- und das Endvermögen eingestellt werden.